Gastbeitrag: Wie viel "Kind" steckt in Kinderlebensmitteln? Teil 1


Neulich im Supermarkt: die Mutter klappert mit ihrem kleinen Sohn die Regale ab und stößt in dem Bereich für die Frühstückscerealien (man mag sie eigentlich gar nicht als „Cerealien“ bezeichnen) auf eine Vielzahl an Produkten. Der Kleine greift zielstrebig nach einer Packung, auf der vorne drei cool und sportlich aussehende Jungs abgebildet sind. So cool will der Sprössling auch mal sein, das weiß er schon. Die kritische Mutter sieht sich die Verpackung näher an. Mit rund 37 % Vollkorn wird das Produkt – selbstverständlich gut leserlich auf der Vorderseite in großer Schrift - beworben. Damit landet das „Frühstück“ im Wagen. Die knapp 37 g Zucker auf 100 g Cerealien fallen der Mutter auf den ersten Blick nicht auf, schließlich wird auf diese Erkenntnis auch kein besonderer Wert seitens der Hersteller gelegt. Hierfür müsste man schon das Kleingedruckte lesen.
Schaut man sich die Einkaufswägen von Familien an, so stellt man fest, dass sich eben beschriebene Szene häufiger abspielen muss. Warum kaufen Eltern ihren Kindern immer wieder Lebensmittel, die speziell um die Aufmerksamkeit der Kleinsten buhlen? Welche Tricks wenden Hersteller an, um stark gezuckerte Produkte dennoch auch für gesundheitsbewusste Eltern attraktiv zu machen? Dies soll in dem ersten Teil über Kinderlebensmittel geklärt werden, welcher sich mit dem Thema Frühstück befasst. Hierbei werden beispielhafte Produkte näher beleuchtet.


Fakt ist, dass die deutsche Nahrungsmittelbranche im Jahre 2011 ca. 696 Millionen Euro für Süßigkeiten- und Schokoladenwerbung ausgab. Die Zahlen für Obst und Gemüse sind verschwindend gering [1]. Auf der anderen Seite steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die übergewichtig oder adipös (fettleibig) sind [1]. Besonders Kinder und Heranwachsende stellen eine Zielgruppe dar, die – obwohl sie kaum bzw. gar nicht selber einkaufen – fleißig und mit großem Aufwand von der Nahrungsmittelindustrie umworben wird [1]. Ein Blick in die Supermarktabteilungen für Süßigkeiten, Snacks, Frühstücksprodukte und Getränke bestätigt diese Annahme. Bunte Verpackungen mit menschlich anmutenden Tieren, sportlich aussehenden Kids, Rätsel oder beigelegten Figuren erregen die Aufmerksamkeit der Kleinsten. Bemerkenswerterweise befinden sich kindgerecht aufgemachte Lebensmittel in der Regel auf Höhe der Kleinen in den Regalen und wollen somit zum Zugreifen animieren. All dies macht es den Herstellern leicht, ihre Lebensmittel an den Mann bzw. in unserem Falle das Kind zu bringen.


Frühstückscerealien und Schokogetränke

Doch letztendlich sitzen die Eltern am längeren Hebel. Wie werden diese von den Herstellern erreicht und zum Kauf animiert?

Beschäftigen wir uns zuerst mit der Mutter, die ihrem Sohn vermeintlich gesunde Frühstücksflocken kaufte. Die drei coolen Jungs sind auf der Verpackung von „TRIO“ zu finden, hergestellt von Nestlé. Auf der Homepage wird das Produkt mit einem Vollkorngehalt von 37 % beworben. Weiterhin deckt der Konsum mindestens 22 % der empfohlenen Zufuhrmenge  von „ 8 lebenswichtigen Vitaminen“ (Vitamine sind in der Regel immer essentiell, das muss eigentlich gar nicht so stark hervorgehoben werden) und trägt zur Eisen- und Calciumzufuhr bei [2]. Klingt für die gesundheitsbewusste Mutter/den gesundheitsbewussten Vater doch sehr beruhigend nach einem optimalen Start in den Tag. Oder etwa doch nicht? Der Blick auf die Zutatenliste verrät es: nicht nur 37 % Vollkorn, sondern auch 37 g Zucker/100 g Cerealien sind im Produkt enthaltenEine Portion (30 g zubereitet mit 125 ml fettarmer Milch) schlägt immer noch mit knapp 17 g Zucker zu Buche. Nestlé verweist auf die Richtwerte für die Nährstoffzufuhr für Erwachsene, obwohl dieses Produkt eindeutig für Kinder gestaltet wurde. Ein paar Klicks später sieht man die entsprechenden Richtwerte [3]. Ganze 90 g bzw. 85 g Zucker sollten Erwachsene bzw. Kinder demnach pro Tag zu sich nehmen. Das verwundert den informierten Bürger etwas, kann doch der Körper den Großteil des Zuckerbedarfs über Eigensynthese decken. Lediglich 50 g Zucker müssen extern, sprich über die Nahrung, zugeführt werden. Wo kommen die restlichen 35 – 40 g her? Es erschließt sich mir nicht ganz.

Selbstverständlich schönt ersterer Wert den Blick auf die immer mit angeführten „% der Tageszufuhr“. Laut Nestlé deckt eine Portion der TRIO Cerealien somit „nur“ 19 % der Tageszufuhr für Zucker, wenn man von einem Gesamtbedarf von 90 g (für Erwachsene!) ausgeht. Gerechnet auf die von mir erwähnten 50 g Zucker sind das bereits 34 %. Somit deckt eine Portion über 1/3 des Gesamtbedarfs an Zucker. Hinzu kommt, dass eine Portion oftmals nicht das einzige Frühstück darstellt. Eine weitere Portion oder aber eine Tasse Nesquik – ebenfalls von Nestlé – stehen eventuell auf dem Speiseplan. Beworben wird die Trinkschokolade zum Anrühren ebenfalls damit, dass 7 „wertvolle Vitamine“ enthalten sind [4]. Außerdem wird durch die „spezielle Rezeptur“ ein „unwiderstehlich schokoladiger Geschmack“ erreicht, der ohne den Zusatz von Aromen, Geschmacksverstärkern und Konservierungsstoffen auskommt. Soweit so gut. Dieses positive Bild wird wieder einmal durch das intensivere Studium der Nährwertangaben zunichte gemacht. Eine Portion (15 g Pulver und 150 ml fettarme Milch) enthält ganze 18,9 g Zucker, rund 38 % des Zuckerbedarfs ausgehend von 50 g benötigtem Zucker.

Eine Portion TRIO und eine Portion Nesquik decken somit bereits 72 % des täglichen Zuckerbedarfs – ein einziges Frühstück! Das muss man sich erst einmal bewusst machen. Die restlichen 28 % sind schnell zusammen, wenn das Kind noch eine kleine Zwischenmahlzeit in Form eines „Kinder-Snacks“ oder eines süßen Getränks zu sich nimmt (siehe Teil 2). Hinzu kommen Mittag- und Abendessen, die in der Regel ebenfalls nicht komplett frei von Kohlenhydraten sein werden. Als „Lebensmittel“ kann man die eben analysierten Produkte wohl nicht mehr bezeichnen, sondern vielmehr als Süßigkeiten außer der Reihe.

Doch nicht nur Produkte von Nestlé (weiterhin LION Cereals mit 28,8 g Zucker/100 g [5]), sondern auch Kellogg’s (z. B. FROSTIES mit 37 g Zucker/100 g [6]), Kraft Foods (z. B. die Trinkschokolade Kaba mit 77,5 g Zucker/100 g) und weitere Hersteller glänzen nicht gerade mit kindergerechten Frühstücksalternativen.


Der sportliche Aufstrich

In meinem Jungendalter sah ich regelmäßig einen Spot im Fernsehen, in dem bekannte Profifußballer sich nach einem anstrengenden Training erst einmal an den Frühstückstisch gesetzt haben. Ich denke, die meisten von uns wissen, was nun folgt: die gutaussehenden Sportler verzehren ihr Nutellabrot. Mit diesem Spot schlägt Ferrero die Brücke zwischen seinem Produkt und den sportlichen, muskulösen jungen Männern. Will nicht jeder Junge irgendwann einmal Fußballer werden? Und himmelt nicht jedes Mädchen ein Mal im Leben einen Profisportler an? Mit dem Verzehr von Nutella ist man diesen Träumen ein Stückchen näher. So empfinde ich zumindest die Verknüpfung zwischen Nutella und dem (Fußball-)Sport. Auch Eltern könnten zu dem Gedanken verleitet werden, dass dieses Produkt gar nicht ungesund sein kann, wenn es sogar einen (vermeintlich) festen Bestandteil in der Ernährung dieser sportlichen und gesunden jungen Männer einnimmt. Ich bin mir sicher, dass es genau das ist, was Ferrero dem Verbraucher zu suggerieren versucht.
Aber schauen wir uns doch ein Nutellaglas einmal genauer an. Vorne sieht man ein Glas Milch und zwei Haselnüsse. Beides sind Lebensmittel, die einen guten Ruf genießen. Daneben liegt eine Brotscheibe mit einer dicken Schicht Nutella. Auch hier erfolgt wieder die Verknüpfung zwischen Nutella und gesunden Lebensmitteln. Auf der Rückseite scheint sich Ferrero Gedanken zu einem optimalen Frühstück zu machen: 

Früher nannte man so das erste Brot am Morgen. Aber ist es nicht viel mehr? Ein gedeckter Tisch, die Lieblingstasse in der Hand? Die ersten Sonnenstrahlen, ein guter Song im Radio? Vielleicht ein erster Blick in die Zeitung? Ein Stück Zuhause!“. 

Klingt ziemlich perfekt, nicht wahr? So stelle ich mir zumindest mein Frühstück am Wochenende vor. Doch:

Egal was es ist – der Morgen macht den Tag. nutella.“ 

Für mich ist die Sache damit klar: Nutella gehört zu einem perfekten Frühstück dazu! Auf einem weiteren Bild wird ein Nutellabrot inmitten gesunder Lebensmittel (wieder das Glas Milch, eine Banane und eine Schale mit Erdbeeren und Trauben) präsentiert. Aber was ist nun eigentlich drin in diesem perfekten Frühstücksaufstrich, der sich Nutella nennt? Stolze 55,9 g Zucker sind in 100 g Nutella enthalten. Das sind ganze 60 % oder 20 Stücke Würfelzucker [7]. Ein Spitzensportler, der einen immensen Energieverbrauch hat, kann sich so einen Aufstrich jeden Tag leisten. Auch der Otto Normalverbraucher wird von einem Nutellabrot nicht gleich übergewichtig, doch meinem Kind möchte ich das nicht jeden Tag zum Frühstück servieren, denn gesund ist anders – vor allem mit weniger Zucker.

File:Nutella ak.jpg
Doch Nutella besteht selbstverständlich nicht nur aus Zucker. Pflanzliches Fett nimmt Platz 2 (also die mengenmäßig am 2. häufigsten verwendete Zutat) in der Zutatenliste mit 31,8 g /100 g ein, gefolgt von 13 % Haselnüssen. Über Letzteres kann man sich nicht beschweren. Die Haselnüsse auf dem Bild auf der Vorderseite deuten deren Vorhandensein im Aufstrich bereits an. Doch was ist mit der wertvollen Milch, die wir ebenfalls auf jedem Foto finden? Nach fettarmem Kakao in der Zutatenliste stoßen wir endlich auf das, was von der Milch im Nutella übrig geblieben ist: lediglich 7,5 % Magermilchpulver. Demnach ist weder Milch als Ganzes noch besonders viel davon in Nutella enthalten. Ich als Verbraucher fühle mich durchaus ein wenig hinters Licht geführt und vor allem nach einem gesunden Frühstück sieht das mit Sicherheit nicht aus.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele für Kinder beworbene Frühstücksprodukte keinesfalls als solche anzusehen sind. Vielmehr sollten Produkte wie TRIO, Nutella und Co. den Begriff „Süßigkeiten“ tragen, denn nichts anderes sind sie mit ihrem hohen Zuckergehalt. Natürlich müssen Kinder nicht gänzlich darauf verzichten, für Genuss muss schließlich auch noch Platz sein. Doch ein gesunder Start in den Tag wird durch oben genannte Lebensmittel nicht erzielt. Alternativ bieten sich Müslis ohne Zuckerzusatz, die durch frisches Obst ergänzt werden, Vollkornbrot mit weniger zuckerhaltigen Aufstrichen und ungesüßte Tees an.

Quellen:
[7] Wikipedia: Würfelzucker 

Abbildungen:
1.) Nestle Trio 


Sina S. 

Sina Herzlichen Dank für die Unterstützung der skeptischen Ernährungs-Initiative !

(zur Autorin: Master-Studentin der Ernährungsmedizin)


2 Kommentare:

  1. Spannender Beitrag. Ich denke der Kernpunkt dieser ganzen Geschichte ist, dass durch die Aufmachung der Produkte, aber auch durch den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen die Süßigkeit im Verbraucherbewusstsein zu einem wertvollen, "gesunden" Lebensmittel mutieren. An einer ehrlichen Werbung ist die Industrie nicht interessiert. :/

    Aber back2topic: es lässt sich auch grundsätzlich darüber streiten, ob es sinnvoll ist überhaupt einen Richtwert für die Zucker(Saccharose)-Aufnahme aufzustellen, an dem wir dann beurteilen können, ob das Lebensmittel gesund ist oder nicht. Woher kommen diese 85-90 g Saccharosebedarf ? Unser Körper ist ja auf Glucose angewiesen, die wir ja ohnehin z.B. durch stärkehaltige Produkte zu uns nehmen.

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    1. Guter Einwand, Thomas. Auf jeden Fall ist nicht nur der Zuckergehalt ausschlaggebend, um ein Produkt als gesund oder ungesund zu betiteln. Fakt ist aber, dass ein zu hoher Zuckerkonsum dem Körper eher schadet (z. B. über eine zu starke Belastung des Pancreas oder den übermäßigen Umbau in Fett), wenn er diesen Zucker über körperliche Aktivitäten nicht verbrennen kann. Der Zuckerkonsum sollte natürlich in etwa dem Bedarf des Organismus angepasst sein. Dennoch finde ich, dass die 50 g einen plausibleren Richtwert darstellen als jenen, der von der Industrie genutzt wird. Aber wie es häufig so ist: die Lobby lässt grüßen ...

      Sina

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